Archiv der Kategorie: Politik

Das Geschäft geht vor

Der Mensch ist von Geburt an gut, aber die Geschäfte machen ihn schlecht.

– Konfuzius

Gestern hat die Tagesschau über den 100-Tage-Plan vom neuen amerikanischen Präsidenten berichtet. Trump möchte sich demnach wirtschaftlich von internationalen Abkommen lösen und eine nationale Wirtschaftsunion stärken. Außerdem will er Umweltauflagen lockern und die gesetzliche Krankenversicherung schwächen. Diese Maßnahmen sollen Arbeitsplätze schaffen und Amerika gegenüber anderen Wirtschaftsräumen stärken.

Das möchte ich jetzt gar nicht bewerten, viel interessanter fand ich in diesem Zusammenhang den ausführlichen Beitrag der Tagesschau, wie deutsche Unternehmen trotz diesesr Maßnahmen sehr gute Geschäfte machen können. Dazu wurden drei Beispiele genannt:

  1. Bilfinger: Der Bauriese hofft darauf, bei der Erschließung weiterer Öl- und Gasvorkommen in den USA seine Technik und Expertise verkaufen zu können. Wenn Trump z.B. das umstrittene, weil umweltbelastende Fracking bundesweit genehmigt, kann Bilfinger damit viel Geld verdienen.
  2. Aesculap: Der Medizintechnik-Hersteller beschwert sich in dem Beitrag über die Preisbremse für seine Produkte aufgrund der von Obama eingeführten gesetzlichen Krankenversicherung (kennen wir aus Deutschland: Privatpatienten zahlen für die gleiche Leistung ein Vielfaches des Beitrags, den die Krankenkassen für ihre Mitglieder zahlen). Das könnte sich ändern, wenn die gesetzliche Krankenkasse in den USA gelockert wird, so dass Aesculap mit ihren Produkten wieder sehr viel Geld verdienen kann.
  3. Heckler & Koch: Mein Lieblingsbeispiel, hauptsache Geschäfte machen! Mit Trump als Präsident verspricht sich die deutsche Rüstungsindustrie weitere Abkommen, um noch mehr Waffen verkaufen zu können. Also an amerikanische Unternehmen. Keine Sorge, die werden nicht eingesetzt. Also nicht in den USA… Dafür wahrscheinlich in Kolumbien. Um die Guerillakämpfer dort auszurüsten, die die Gewerkschafter in den Kohlebergwerken (mund-)tot machen sollen. Dann kann man dort noch günstiger Kohle abbauen und günstigen Kohlestrom in den USA produzieren.

Nach dem Beitrag die Aktienkurse. Die Börse hat sich wieder erholt, die Superzahl lautet 42.

Geschäfte gehen vor Umwelt, Gesundheit und Frieden

Geschäfte gehen vor Umwelt, Gesundheit und Frieden

Was sollte denn dieser Beitrag bitte bewirken, liebe Tagesschau. Es kann uns egal sein, welcher Präsident die USA regiert, hauptsache die Geschäfte laufen? Scheiß auf Umwelt, Gesundheit, soziale Standards und Frieden, hauptsache die deutschen Unternehmen machen dadurch Profit? Um dann an Weihnachten wieder Geld einzusammeln für die Opfer von Umweltkatastrophen, Ausbeutung und Krieg? Oder nächstes Jahr wieder über die überaschenderweise angestiegenden Flüchtlingszahlen nach Europa zu berichten, die niemand voraussehen konnte?

Ich will nicht behaupten, dass Hillary Clinton der angenehmere Weltpolitiker geworden wäre, oder dass Donald Trump das Monster ist, zu dem er in den Medien gemacht wurde. Für so eine Beurteilung liegen mir zu wenige Informationen vor (im Wahlkampf wurden beide Kandidaten hauptsächlich auf ihre Persönlichkeit hin beurteilt).

Aber mal ganz ehrlich: mit eurer Argumentationskette kann man auch Geschäfte mit den übelsten Unrechtsregimen auf der ganzen Welt rechtfertigen.

Ach so, stimmt… Wird ja längst gemacht:

  • Ägypten
  • China
  • Iran
  • Jemen
  • Kongo
  • Myanmar
  • Nigeria
  • Oman
  • Pakistan
  • Saudi-Arabien
  • Simbabwe
  • Syrien
  • Thailand
  • Türkei
  • Venezuela
  • Vereinigte Arabische Emirate
  • Weißrussland
  • Zentralafrikanische Republik

Nur zu Geschäftsbeziehungen mit Nordkorea konnte ich auf die Schnelle nichts finden. Obwohl, wer weiß…

Jedes Brandopfer ist eins zu viel

In den letzten Tagen ist mir diese Plakatwerbung ins Auge gestochen:

Beworben wird hier zwar die Rauchmeldetechnik der Firma ABUS, aber irgendwie muss ich bei diesem Spruch unweigerlich an die vielen Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland denken.

Ja, JEDES Brandopfer ist eins zu viel! Nicht nur wenn es ein blondes deutsches Mädchen wie auf dem Bild ist 😉

Meine verpasste Chance beim AWD-Nachfolger Swiss Life Select

Vergangene Woche bekam ich per Xing ein Jobangebot, das mich doch ein wenig stutzig gemacht hat:

Lieber Herr de Stefano,
als selbständiger Unternehmer betreibe ich aktives Personal-Recruiting und wurde dabei auf Ihr Profil aufmerksam.
Für die weitere Verstärkung unserer Finanzkanzlei in Köln/Düsseldorf suchen wir engagierte, kontaktfreudige und zielstrebige Menschen. Mein erster Eindruck von Ihnen deckt sich mit unseren Anforderungen. Allerdings kann dies ein persönliches Gespräch nicht ersetzen. Sollten Sie daher einem sehr guten Angebot positiv und offen gegenüberstehen, freue ich mich auf Ihre Antwort.
Beste Grüße, xxx

Das Angebot kam von einem selbstständigen Vertiebler der Swiss Life Select und hat mich deshalb stutzig gemacht, weil ich Bauingenieur bin und mit der Finanzwelt beruflich ziemlich wenig zu tun habe.

Ein Klick bei meinem Suchanbieter ergab, dass die Swiss Life Select das Nachfolgeunternehmen des von Mr. Unsympath Carsten Maschmeyer gegründeten Unternehmen AWD ist.

Für die jüngeren Leser unter euch: Carsten Maschmeyer hat in den 90er Jahren mutmaßlich die Wahlkämpfe von Gerhard Schröder unterstützt, ihm damit zur Kanzlerschaft verholfen und durfte 2002 mutmaßlich als Gegenleistung die Rentenreform nach seinen Wünschen diktieren. Seine Produkte passten dadurch genau auf die neuen Gesetze, Carsten Maschmeyer wurde steinreich und tausende Menschen schlossen eine für sie wertlose private Zusatzrente ab, weil die SPD bei der gesetzlichen Rente ordentlich kürzte (Warum die Riesterrente scheiße ist, erfährt man mit wenigen Klicks im Netz).

Die Niedersachsen-Connection

Und für so ein Drecksunternehmen soll ich arbeiten? Ernsthaft? Ich soll zu den Verlierern der Gesellschaft gehen und ihnen noch die letzten Euros aus den Taschen abschwatzen. Und wenn ich gut bin, viele Verträge abgeschlossen habe und noch ein paar mehr dumme Vertreter angeworben habe, habe ich in diesem Schneeballsystem sogar die Chance, Karriere zu machen?

Sorry, ich wurde schon vor 15 Jahren von einem AWDler angesprochen und der konnte mich nicht überzeugen, diese einmalige Gelegenheit zu ergreifen und mit 35 Jahren mit vollen Taschen auszusteigen und mit der eigenen Yacht zu fahren. Verdammt, jetzt bin ich 35 und fahre nur Fahrrad und meine Kinder haben die Taschen voll – also mit Kieselsteinen und Duplo-Figuren…

Er selbst ist nach zwei Jahren ausgestiegen. Mit einem Haufen Schulden (ja, wenn ein Vertrag platzt, muss man die Provision wieder zurückbezahlen, auch ein Jahr später noch!) und einem geschrumpften Freundeskreis (in seiner Verzweiflung hatte er ziemlich erfolglos versucht, seiner Familie und seinen Freunden Versicherungen anzudrehen und sie ebenfalls als Vertreter anzuwerben).

Kleiner fun-fact am Rande: Den AWD-Aussteigern wurde gerichtlich untersagt, ihre Erfahrungen im Netz zu veröffentlichen…

Also:

Lieber Herr xxx,

ihr sehr „gutes Angebot“ können Sie sich gerne sonstwo hinschieben. Ich habe kein Interesse daran, Teil eines Schneeballsystems zu werden, in dem man nur erfolgreich wird, wenn man einerseits mit allen Mitteln ahnungslosen Menschen schwachsinnige Versicherungspolicen verkauft und andererseits ahnungslose Menschen dazu anwirbt, selbst anderen ahnungslosen Menschen schwachsinnige Versicherungspolicen zu verkaufen.

Ihr Unternehmen war vor 20 Jahren als AWD schon beschissen und ist mit dem neuen Namen nicht besser geworden.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrem Leben und hoffe, dass Sie erkennen, welche Werte wirklich im Leben zählen.

Mit freundlichen Grüßen aus Köln,

André De Stefano

Ich bin Multikulturell – und das ist auch gut so!

Liebe besorgte Bürgerinnen und Bürger,

seit zwei Jahren schreit ihr auf unseren Straßen eure Wut in die Welt, weil ihr Angst habt, von den Flüchtlingen in Deutschland bedroht zu werden. Ihr fürchtet euch vor der Islamisierung des Abendlandes und glaubt, die Realisierung einer rein christlich-abendländische Gesellschaft (wie auch immer diese in eurer Vorstellung aussehen mag) wäre die Lösung für alle eure Probleme.

Ich werde diesen Beitrag heute einmal, anders als üblich, ohne Fakten hinterlegen, sondern stattdessen über meine persönlichen Gefühle sprechen. Das sollte in eurem postfaktischem Interesse sein, richtig?

Zuerst einmal möchte ich euch erwidern:

„Ich heiße ganz pauschal ALLE Menschen, die in unserer Gesellschaft Zuflucht suchen, ganz herzlich willkommen!“

Ja, darunter gibt es ganz bestimmt auch ein paar Arschlöcher, so wie in jeder Gesellschaft. Deshalb möchte ich hinterherschieben:

„Ich lehne ganz pauschal ALLE Menschen ab, die Schaden in unserer Gesellschaft anrichten wollen!“

Unter meinen Vorfahren gibt es eine Reihe von Flüchtlingen und Migranten. Drei Migrationen waren sogar entscheidend dafür, dass es mich gibt:

  1. Mein Ur-ur-ur-Großvater war ein Wirtschaftsflüchtling. Er ist im 19. Jahrhundert vor Hunger und Armut in Irland geflüchtet und hatte die Chance, sich in den USA ein neues Leben aufzubauen und wohlhabend zu werden.
  2. Meine Oma ist ein Kriegsflüchtling. Sie ist 1945 vor Krieg, Plünderung und Vergewaltigung aus dem Sudetenland geflüchtet und hatte die Chance, sich im Rheinland ein neues Leben aufzubauen und wohlhabend zu werden. Außerdem erhielt sie die Gelegenheit, mehrere Jahre in den USA zu leben und zu arbeiten und dort sogar einen Amerikaner mit irischen Wurzeln zu heiraten.
  3. Mein Vater ist ein Immigrant. Er ist seiner Liebe aus Italien gefolgt und hatte die Chance, im Rheinland ein neues Leben aufzubauen, wohlhabend zu werden und hier sogar eine Deutsche mit sudetischen und irisch-amerikanischen Wurzeln zu heiraten.
Meine persönlichen Flüchtlingsströme

Meine persönlichen Flüchtlingsströme

Ich selbst lebe in einem multikulturellen Umfeld. Meine Familie also ordentlich durchmischt, meine Freunde und Arbeitskollegen stammen von allen Kontinenten. Meine Reisen gehen gerne ins Ausland, mein Essen kommt aus allen kulinarischen Ecken der Welt. Mein Smartphone ist koreanisch, mein Hybrid ist japanisch. Und zur Arbeit fahre ich mit der in England entwickelten Eisenbahn.

Und wie profitieren wir doch von den offenen Grenzen in Europa! Kurztrip nach Paris, Junggesellenabschied in Amsterdam, Sommerurlaub in Spanien oder Italien, Party in Bratislava? Ohne Visum oder Grenzkontrolle hin, noch nicht einmal Geld wechseln muss man. Gibt es irgend jemanden, der daran zweifelt, dass das gut ist?

Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, eingezäunt in einer „völkisch rein deutschen“ Gesellschaft leben zu müssen. Dieser Begriff erscheint mir auch völlig absurd. Was soll das sein? Welches Volk ist denn das wahre deutsche? Die aus den Niederlanden stammenden Friesen und Sachsen?  Die aus Frankreich eingewanderten Franken und Schwaben? Die aus Österreich stammenden Bayern? Oder tatsächlich die schon immer im Herzen Deutschlands angesiedelten Thüringer?

Vielleicht erloschen die echten Deutschen aber schon vor 30.000 Jahren, als sie von den damaligen Immigranten „homoisiert“ wurde – also als die aus Afrika stammenden Homo sapiens den Düsseldorfern Homo neanderthalensis den Schädel einschlugen und sich in ihren Siedlungsgebieten breitmachten.

Stammen wir Deutschen somit also ALLE von gewalttätigen Immigranten ab?

So ein Quatsch, natürlich… Und ich erlebe die heutige deutsche Kultur, die aus so vielen internationalen Einflüssen besteht, als ein großes Geschenk. Fast täglich bin ich für meine Projekte in NRW unterwegs und genieße die besten Seiten der hier angesiedelten Nationalitäten. Die vielen Italiener und Türken in Köln, die Japaner und Griechen in Düsseldorf, die Polen im Ruhrgebiet und all die vielen anderen Bereicherungen – vor allem für meine Mittagspause.

Currywurst mit Pommes - ohne ausländische Zutaten bliebe nur die Wurst übrig

Currywurst mit Pommes – ohne ausländische Zutaten bleibt nur das Schwein übrig

Ich bin froh darüber, in einer solchen Multi-Kultur leben zu dürfen und ich verfluche jeden Einzelnen, der diese Kultur nicht bereichern, sondern zerschlagen will!

Und ich möchte nicht länger zu einer schweigenden Mehrheit gehören, die die immer mehr werdenden rassistischen Arschlöcher in Deutschland ignoriert.

Und deshalb rufe ich diesen rassistischen Arschlöchern zu:

Ihr seid nicht das Volk! Ihr seid nicht das Volk! Ihr seid nicht das Volk!

Ihr seid eine Schande für unsere Gesellschaft! Geht nach Hause und weint, aber belästigt nicht den Rest der Menschen in unserem Land mit euren Phobien, eurem Fremdenhass und eurer Gewalt!

Und wenn du diesen Text gelesen hast und ähnlich denkst wie ich, dann teile ihn. Oder werde selber laut und zeige der Welt wie du denkst!

Lasst uns eine lautstarke Mehrheit in diesem Land werden und allen sagen:

Wir sind ganz und gar multikulturell – und das ist auch gut so!

„Deutschland geht es gut – das ist ein Grund zur Freude“

Ja, liebe Frau Dr. Merkel, in Ihrem Paralleluniversum sieht es in Deutschland wirklich töfte aus: „Die Verteilungsgerechtigkeit: Überdurchschnittlich!“ „Das Armutsrisiko: Unterdurchschnittlich!“ So steht es plakativ auf der Homepage Ihrer Partei. In Ihrem Paralleluniversum, Frau Merkel, steht das auch genauso in Ihrem Armutsbericht drin. [1], [2], [3]

In meinem Universum wurde der Armutsbericht 2013 allerdings von Ihrer Regierung geschönt.

Genau die Punkte, die Frau Merkel auf Ihrer Homepage positiv hervorhebt, wurden im ursprünglichen Armutsbericht eigentlich negativ erwähnt. Der Reichtum in Deutschland ist in der Realität nicht gerecht verteilt und das Armutsrisiko steigt von Jahr zu Jahr für immer mehr Menschen in Deutschland. Aber um wiedergewählt zu werden kann man die Realität einfach mal streichen und das Gegenteil behaupten. Papier ist bekanntermaßen sehr geduldig. [3], [4]

Deshalb will Mutti ja auch nichts ändern. „Ganz grundlegend neue Sozial- und Wirtschaftsreformen brauchen wir nicht“, sagt sie wörtlich auf Ihrer Homepage und lobt die menschenverachtende Agenda 2010 rund um Hartz IV, die einst die Sozialdemokraten einführten. In ihrem Paralleluniversum geht es den Menschen in Deutschland durch diese Agenda ja auch viel besser als vorher. [1], [2], [5]

Andererseits widerspricht sich Frau Merkel selbst. Auf den gleichen Seiten, auf denen steht, dass das Armutsrisiko gering sei, ist auch zu lesen, dass „die Bundeskanzlerin der besonders in den neuen Bundesländern erhöhten Gefahr von Altersarmut durch Lohnsteigerungen und Rentenangleichungen entgegenwirken will.“ Und dazu behauptet sie auch noch frech: „Da ist schon viel passiert.“ [1], [2]

Passieren tut leider nichts und die Tatsachen sehen tatsächlich beunruhigend aus. Erst diese Woche veröffentlichte das statistische Bundesamt u.a. die neuesten Zahlen bezüglich der Altersarmut in Deutschland. Jeder 30. Mensch über 64 ist entweder schon arm oder akut von schwerer Armut bedroht, in den neuen Bundesländern sogar jeder sechste Mensch, vor allem Frauen. Von „milder“ Armut sind sogar noch mehr Menschen betroffen. Erhebungen gehen von bis zu 20%, also jedem fünften Deutschen über 64 aus. [6], [7], [8], [9]

Armutsrisiko nach Altersstufen

Armutsrisiko in Deutschland nach Altersgruppen (Angaben in Prozent)

Auch die Jugendarmut hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Schlimmer noch als bei alten Menschen sind vor allem junge Menschen von Armut bedroht. Jedes vierte (!) Kind zwischen 10 und 17 Jahren ist davon betroffen. Man muss keine Studie lesen, um zu ahnen, dass diese Kinder es schwerer als ihre Altersgenossen haben werden, gesund zu leben, Liebe zu erfahren und weiterzugeben oder persönlich und beruflich erfolgreich zu werden. [7], [8], [9]

Fakt ist: Arme Menschen leben kürzer als reiche Menschen. Experten gehen von einer durchschnittlichlich geringeren Lebenserwartung von fünf Jahren aus. Fakt ist auch, dass arme Menschen häufiger in einem gewaltausübenden Umfeld aufwachsen, sich mit Gewalt sozialisieren und dementsprechend später auch häufiger und brutaler Gewalt anwenden. Und ebenfalls Fakt ist, dass arme Kinder in etwa zu einem Drittel seltener aufs Gymnasium gehen als reiche, und das unabhängig davon, ob ihre Eltern gebildet sind oder nicht. [10], [11], [12]

Aber wer gilt in Deutschland eigentlich als arm? Sind wir im Vergleich zum Rest der Welt nicht alle reich?

131022_Textbox_ArmutJa, das stimmt. Im europa- und weltweitem Vergleich geht es den armen Menschen in Deutschland verhältnismäßig gut. Es gibt in Deutschland nur eine sehr geringe „absolute“ Armut, wie es im Fachjargon heißt. Es muss also so gut wie niemand bei uns etwa von einem Dollar am Tag leben oder fürchten, verhungern oder verdursten zu müssen. [7], [8]

Dafür müssen wir in Deutschland mit einer vergleichsweise sehr hohen „relativen“ Armut leben. Tendenz steigend. Von Armut bedroht sind in Deutschland mehrere Millionen Menschen. Die Folgen sind Mangelernährung, hohe Krankheitsanfälligkeit, Bildungsdefizite, soziale Isolation, erhöhtes Gewaltpotenzial, Suchtprobleme. Auch bei Menschen, die noch gar nicht arm sind. Allein die Angst vor der Armut kann zu den genannten Symptomen führen. [7], [8]

Armutsrisiko von 1990 bis 2012

Relative Armut in Deutschland von 1990 bis 2012 (Angaben in Prozent)

Ein deutschlandweiter, tarifunabhängiger Mindestlohn sollte bei dieser Faktenlage eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn ein Mensch von seiner Arbeit auskömmlich leben kann, verliert dieser seine Angst vor Armut, verfällt nicht in die oben genannten Armutssymptome und wird Zeit seines Lebens vermutlich nicht von Armut betroffen sein. Deutschland ginge es gut und das wäre tatsächlich ein Grund zur Freude.

Aber!

Ein Mindestlohn allein kann niemals reichen, wenn es nicht genug Arbeit für alle arbeitsfähigen und arbeitswilligen Menschen gibt. Verdienen die Arbeitsnehmer zukünftig auskömmlich – aber es gibt noch immer eine hohe Arbeitslosenquote – so wird die Angst vor Armut lediglich durch die Angst vor Arbeitslosigkeit ersetzt. Durch die wiederum Armut drohen kann, wenn kein neuer Job gefunden wird. Die Symptome bleiben. Dass der Mindestlohn selbst zu einer hohen Arbeitslosenquote führt ist allerdings totaler Quatsch. [13]

Dennoch darf der flächendeckende Mindestlohn nur als Übergangstechnologie eingesetzt werden. Langfristig müssen aber ganz neue Mechanismen eingeführt werden, die den Menschen ihre Angst vor Armut vollständig nehmen können. Niemand in Deutschland – einem der wirtschaftsstärksten Ländern der Welt – darf Angst vor Armut haben oder tatsächlich von Armut bedroht sein!

Ja, liebe Frau Dr. Merkel, eine grundlegend neue Sozial- und Wirtschaftsreform muss also doch her!

Ob das Endergebnis nun „Bedingungsloses Grundeinkommen“ heißt oder nicht. Ob die Menschen zukünftig einen gesicherten auskömmlichen Grundbetrag vom Staat erhalten sollen oder nicht. Ob diese Reform von Konservativen, Liberalen oder Sozialisten eingeführt wird oder von noch jemand anders. Das alles ist völlige Nebensache.

Ich wiederhole mich da gerne: Niemand darf Angst vor Armut haben! Niemand darf von Armut bedroht sein!

Wenn wir das nicht akzeptieren sondern stattdessen hinnehmen, dass es arme Menschen in unserer Gesellschaft gibt, dann wird es immer einen Klassenkampf geben. Und wir werden immer nur weiter an den Symptomen der Armut arbeiten statt das Übel an der  Wurzel zu packen und zu eliminieren.

Quellen und Leseempfehlungen:

[1] Angela Merkel: Deutschland geht es gut (CDU)
[2] PDF: Flugblatt Studien (CDU)
[3] Armuts- und Reichtumsbericht 2013 (Bundesministerium für Arbeit und Soziales)
[4] Einkommensverteilung in Deutschland: Bundesregierung schönt Armutsbericht (Süddeutsche Zeitung)
[5] Zehn Jahre HartzIV: Lob aus der CDU (Augsburger Allgemeine)
[6] Altersarmut: Zahl der Empfänger von Grundsicherung auf Rekordstand (Spiegel)
[7] Armut in Deutschland (armut.de)
[8] Armut in Deutschland (tafel.de)
[9] Deutsches Institut für Wirtschaft
[10] Lebenserwartung: Arme sterben fünf Jahre früher als Reiche (Spiegel)
[11] Kinder aus armen Familien häufiger Opfer von Gewalt (Spiegel)
[12] Armut verbaut Bildungschancen (Hans-Böckler-Stiftung)
[13] Ausbildung hilft, Mindestlohn schadet nicht (Hans-Böckler-Stiftung)
[14] Mittleres Einkommen (Wikipedia)

Freier Handel für freie Bürger

Seit 1990 arbeiten die nordamerikanischen und die europäischen Staaten an einem Transatlantischen Freihandelsabkommen, kurz TAFTA oder TTIP. Nach mehreren Entschlüssen seitens der EU wurde im Jahre 2007 zunächst die Rahmenvereinbarung zur Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsintegration mit den USA unterzeichnet und der Transatlantische Wirtschaftsrat gegründet, der sich seitdem darum bemüht, lästige Handelshürden auf beiden Seiten abzubauen. [1], [2]

23 Jahre nach dem ersten Entschluss, also seit diesem Jahr, gibt es nun erste Sondierungsgespräche zwischen den USA und der EU, um das Transatlantische Abkommen zu konkretisieren. Natürlich werden die Gespräche nicht von demokratisch legitimierten oder wenigstens vom EU-Parlament entsendeten Vertretern geführt. Nein, solch wichtige Verhandlungen führen natürlich die von der Wirtschaft völlig unabhängigen (Vorsicht: Ironie!) Mitglieder der EU-Kommission, die seit langem dafür bekannt ist, Gesetze in Hinterzimmern auszuhandeln. [1], [2], [3]

Wer außerdem glaubt, es ginge bei diesem Abkommen darum, für den Verbraucher preistreibende Zölle abzubauen, liegt erneut auf dem falschen Transatlantischen Dampfer. Lediglich 4-7% der zwischen den Partnern gehandelten Waren werden derzeit überhaupt verzollt. Und das mit einer minimalen Zollrate von gerade einmal 3%. Das führt dann dazu, dass die USA schon seit vielen Jahren Nr.1-Abnehmer für Europäische Waren und Nr.2-Exporteur für Waren in die EU ist. Nur China liefert noch mehr Güter nach Europa. [4], [5]

Handel EU-USA

Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA (2010)

Die Handelspartner erhoffen sich ganz andere Wirkungen von TAFTA. Beide Wirtschaftsräume sind zur Zeit finanziell stark angeschlagen. In Europa haben wir die Euro-Krise noch längst nicht überstanden und können mit weiteren exorbitanten Steuergeld-Transferierungen an die Banken rechnen, bei denen die zahlungsunfähigen Staaten ihre Schulden haben. Und die USA sind gerade noch einmal mit einem blauen Auge aus ihrer Haushaltskrise davongekommen. Natürlich mit einer weiteren exorbitanten Erhöhung der Staatsschulden. Es lebe der Steuerzahler! [6], [7]

Durch eine Erhöhung des Handels soll es mehr Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks geben. 160.000 neue Jobs in der EU. Lohnsteigerungen bis zu 1%. Nur durch TAFTA. Und das meinen die ernst. Wachstum auf beiden Seiten! In welcher Elite-Uni habt ihr das denn bitte gelernt, liebe Wirtschaftsexperten? Wir reden hier doch von einem geschlossenen System, bei dem auf der einen Seite das reinfließt, was auf der anderen Seite weggenommen wurde. [8], [9], [10]

Geschlossenes System

Kreislauf eines geschlossenen Systems

Nein, natürlich wissen das auch unsere Verhandlungspartner, aber „Wirtschaftswachstum“ zieht offensichtlich immer. In Wirklichkeit geht es den verlängerten Armen der großen Konzerne tatsächlich um Wettbewerbsvorteile gegenüber anderer Wirtschaftsräume auf der Welt, vor allem China und Japan, aber natürlich auch Russland und die immer stärker werdenden Schwellenländer. [11]

Um sich in diesem globalen Wettbewerbsdruck besser behaupten zu können, sollen nach Wunsch der Lobbyisten im Zuge des TAFTA weitere vermeintliche Handelshürden fallen, die oft aus Verbraucherschutzgründen eingeführt wurden sind. So flüstern Vertreter der amerikanischen Agrarwirtschaft – allen voran der Agrarriese Monsanto -, der gesamten westlichen Pharmaindustrie, des Silicon Valleys und vieler anderer Wirtschaftszweige auf beiden Seiten des Atlantiks schon in die Ohren der Vertragspartner. Sie werben für die Etablierung von Bio- und Software-Patenten, für die Einführung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln und hormonbehandeltem Fleisch, sowie für die Umgehung von aufwendigen Zulassungsverfahren für Arzneimittel und eine ganze Latte anderer Scherze. [10], [11], [12]

Man mag meinen, dass man sich in den vergangenen 23 Jahren wenigstens innerhalb der EU auf ein paar Mindeststandards und Richtlinien hätte einigen können, mit denen man in die Verhandlungen tritt. Sozialstandards, Umweltrichtlinien, ethische Rahmenbedingungen, Verbraucherschutz – um mal nur ein paar zu nennen. Vielleicht wenigstens die Regeln, die wir via EU-Parlament schon für den Binnenraum Europas verabschiedet haben?

Es steht leider zu befürchten, dass im Sinne der Wirtschaftsförderung und des Wachstums als Maxime der transatlantischen Zusammenarbeit diese wichtigen Grundlagen gerne geopfert werden. Man kann also bei erfolgreichem Abschluss eines Abkommens unter den gegebenen Umständen tatsächlich davon ausgehen, dass Sozialabbau, laxere Umweltschutzbestimmungen und die Einführung von allerlei fragwürdigen Agrarprodukten auf beiden Seiten des Atlantiks Standard werden. [11,], [12]

Soweit zum wirtschaftlichen Teil. Und der ist wirklich schon schlimm genug! Aber wir müssen bei TAFTA immer auch die Gefahren für die Demokratie und den Rechtsstaat betrachten.

Schon der Auftakt in die Sondierungsgespräche stand unter keinem guten Stern. Im Rahmen der Snowden-Enthüllungen kam heraus, dass Büros der europäischen Handelspartner offensichtlich von der NSA überwacht wurden, u.a. um sich auf amerikanischer Seite Vorteile für die Verhandlungen selbst zu verschaffen. So viel zum Thema „Vorteile des Abkommens auf beiden Seiten“. [13], [14]

Generell muss man sich fragen, ob man mit einem Staat ein solches Abkommen schließen möchte, der keinen Hehl daraus macht, systematisch die Bevölkerung des Vertragspartners nach eigenem Gusto zu bespitzeln und gelichzeitig intensive Wirtschaftsspionage auch auf europäischem Raum – ja, auch und gerade in Deutschland! – zu betreiben. Und bemüht ist, dieser Datenspionage durch TAFTA auch bei uns einen legalen und gesellschaftsfähigen Rahmen zu geben.  [15], [16], [17]

Wollen wir nicht? Ja, wenn die Verhandlungen durch Vertreter des EU-Parlaments stattfinden würden, könnten wir Bürger wenigstens durch die EU-Wahlen unsere Verhandlungspartner selbst bestimmen. Oder die Rahmenbedingungen dafür, dass überhaupt Verhandlungen stattfinden – oder auch nicht.

Diese Umgehung der Demokratie ist gefährlich! Denn TAFTA wird nicht das einzige Abkommen bleiben, dass die EU mit Drittstaaten aushandeln wird. Wenn wir uns dieses Vorgehen dieses Mal gefallen lassen, wird es schwierig, beim nächsten Mal etwas anderes zu verlangen.

Es gibt Stimmen, die die Sorge äußern, dass durch die Erweiterung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes auf die ähnliche räumliche Ausdehnung der NATO die Häufigkeit von Wirtschaftskriegen mit europäischer – also vermehrt auch deutscher – Beteiligung wachsen könnte. Also quasi ein Wirtschaftsraum mit äquivalentem Verteidigungsraum, der seine Interessen notfalls auch militärisch durchsetzen kann und wird.

Abgesehen davon, dass Kriege letztendlich immer auch ein wirtschaftliches Motiv besitzen, könnte dies tatsächlich ein Ungleichgewicht in die derzeit bestehende Weltordnung bringen. Andere globale Player wie China oder Russland könnten sich zu Gegenmaßnahmen mit unbekanntem Ausmaß genötigt sehen. Aber das ist tatsächlich noch reine Spekulation.

Zusammengefasst kann man wohl sagen, dass im Interesse der europäischen und nordamerikanischen Völker die Verhandlungen über TAFTA dringend gestoppt werden müssen. Europa MUSS zuerst im demokratischen Sinne und in transparenter Vorgehensweise ganz klare Rahmenbedingungen definieren und Bedingungen formulieren, mit denen tatsächliche Volksvertreter in transatlantische Verhandlungen treten. Dazu gehören:

–          Ein klares JA zu Demokratie! Das EU-Parlament muss als direkt gewählte Volksvertretung alle notwendigen Kompetenzen für die weiteren Verhandlungen übertragen bekommen.

–          Ein klares JA zu mehr sozialer Gerechtigkeit! Die Verhandlungen müssen im Sinne der Menschen und nicht der Wirtschaftsunternehmen geführt werden. Der Illusion, dass „was Arbeit schafft“ auch „sozial“ ist, dürfen wir uns nicht mehr hingeben.

–          Ein klares JA zum Datenschutz! Menschen und Betrieben dürfen durch den vermeintlichen Wirtschaftspartner nicht länger ausspioniert werden.

–          Ein klares NEIN zu Agrar- und Softwarepatenten sowie zu anderen gesundheitlich und ethisch bedenklichen Produkten! Verbraucher- und Umweltschutz müssen immer vor wirtschaftlichen Interessen stehen. Und wir können es uns leisten, Möglichkeiten zu schaffen, dass diese Punkte nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen.

–          Ein klares NEIN zu „Wachstum als Wirtschaftsmaxime“! Wirtschaftswachstum darf nie um jeden Preis erzielt werden. Wir können es uns leisten, eine Wirtschaft aufzubauen, die mit den vorhandenen Mitteln auskömmlich wirtschaften kann.

–          Ein klares NEIN zu Wirtschaftskriegen, auch unter ideologischem Denkmantel! In diesem Zusammenhang könnte man gemeinsam mit den Partnerländern noch einmal an den Aufgaben der NATO arbeiten.

Im kommenden Jahr sind Europawahlen. Zeigen wir unseren Politikern mit unserer Stimme, in welche Richtung die europäische Reise gehen soll!

Quellen und Leseempfehlungen:

[1] Transatlantisches Freihandelsabkommen (Wikipedia)
[2] Freihandelszone EU/USA (Tagesschau)
[3] Lobbyist packt aus (Deutsche Wirtschaftsnachrichten)
[4] Importzoll (Wikipedia)
[5] Eurostat
[6] Eurokrise (Wikipedia)
[7] Dann bis demnächst (Der Freitag)
[8] Bertelsmann Stiftung
[9] Eigentümliche Rechnung (fr)
[10] Bertelsmannstiftung macht Stimmung für Eu-USA Freihandelsabkommen (Lobbycontrol)
[11] Nachdenkseiten
[12] Monsanto durch Hintertüren zu den Konsumenten (H0rusfalke)
[13] EU-Kommission lässt Vertretungen nach NAS-Affäre durchsuchen (Spiegel)
[14] Viele Baustellen im transatlantischen Freihandelsabkommen (Netzpolitik)
[15] Wirtschaftsspionage NSA USA Deutschland (Zeit)
[16] TAFTA TTIP Urheberrecht (Zeit)
[17] Das Parlament soll nicht bestimmen dürfen, was der Wirtschaft erlaubt ist (TELEPOLIS, heise)

Flüchten muss entkriminalisiert werden

Die Tragödie vor Lampedusa vergangene Woche hat ein wichtiges europäisches Thema wieder in unser Gedächtnis zurückgerufen: Die EU-Flüchtlingspolitik. 500 Menschen scheiterten einmal mehr bei dem Versuch in einem völlig ungeeigneten Boot das Mittelmeer von Lybien aus nach Italien zu überqueren. Wie Überlebende des Unglücks berichteten, hatten die Schleuser, nachdem ihr Boot kurz vor Lampedusa auf Grund gelaufen war, die Passagiere mit Peitschenhieben ins Wasser getrieben, obwohl viele von ihnen nicht schwimmen konnten. Auf dem kurzen Stück zwischen Boot und Insel ertranken vermutlich weit über 300 Flüchtlinge. Nur etwa 150 konnten gerettet werden. [1], [2]

Natürlich sind diese 500 Menschen nur die Spitze des Eisbergs, der jenseits der europäischen Grenzen angetrieben kommt. Aus Afrika, dem Nahen Osten, dem Balkan und den ehemaligen Sowjetrepubliken versuchen es nach Angaben unseres Grenzschutzes Frontex jährlich etwa 150.000 Menschen auf die abenteuerlichsten Arten und Weisen in das gelobte Europa zu gelangen. Sie fliehen vor Bürgerkrieg, Rassismus, politischer und religiöser Verfolgung, oder einfach nur aus Armut, Hunger und Durst. [4]

Illegale Grenzübertritte 2011

Registrierte Grenzübertritte 2011 [4]

Nach dem aufsehenerregenden Ereignis vergangene Woche sahen nun aber auch die EU-Innenminister endlich Handlungsbedarf. Man war sich schnell einig, dass es mit der Flüchtlingspolitik so nicht weitergehen konnte. Vor dem arabischen Frühling konnte man schließlich noch ungeniert die nordafrikanischen Diktatoren fürstlich dafür entlohnen, die Flüchtlinge abzufangen, einzusperren oder umzubringen. Doch diese Zeit ist nun zum Glück (vorübergehend) vorbei.

Neue Lösungen mussten also her und man durfte hoffen, dass die EU nun endlich einen humaneren Kurs einschlagen würde, der sich mit dem Leid der Menschen auseinandersetzt anstatt Europa weiter einzuigeln. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Die Neuausrichtung der EU-Flüchtlingspolitik scheiterte am Widerstand mehrerer Staaten, vor allem Deutschland. Innenminister Friedrich bediente erwartungsgemäß die Stammtische in seiner bayerischen Heimat mit platter und inhaltsleerer Polemik, wie wir es von konservativen Politikern gewohnt sind: „Unser Boot ist voll.“ [3]

Nein, lieber Herr Friedrich. Die einzigen Boote, die wirklich voll sind, sind die Flüchtlingsboote!

Jetzt soll mit der Erhöhung der Finanzmittel für Frontex vor allem der Grenzschutz verstärkt werden. Diese belaufen sich momentan auf etwa 100 Millionen Euro pro Jahr. Jetzt soll also noch mehr Steuergeld für Schiff-, Flugzeug- und Satellitenüberwachung des Mittelmeers und anderer Grenzabschnitte ausgegeben werden. Womit die Routen der Flüchtlinge natürlich noch abenteuerlicher und die Fluchtversuche noch häufiger tödlich enden werden. [4], [5]

Dabei ist es ohne große Anstrengung möglich, eine grundlegend andere Flüchtlingspolitik zu betreiben. Selbst wenn wir die Kriterien zur Asylberechtigung für Europa minimal lockern und sagen wir mal großzügig doppelt so viele Asylanträge anerkennen als bisher, so kommen wir jährlich gerade mal auf 15.000 dauerhaft Asylberechtigte, also zwei pro 100.000 europäischer Einwohner. Und das in einer Wohlstandsgesellschaft, in der 40% der Lebensmittel weggeschmissen und Autos mit Trinkwasser gewaschen werden. [6], [7], [8]

Wir haben unseren Wohlstand doch nur durch die kontinuierliche Ausbeutung der dritten Welt erreichen können. WIR haben immer wieder menschenverachtende Regime mit Geld und Waffen unterstützt und tun dies noch immer. WIR sorgen durch unseren Rohstoffhunger für weltweite Umweltverschmutzung und Naturkatastrophen, die zu verheerenden Dürren und entsprechenden Hungersnöten führen. Jetzt müssen WIR auch die Konsequenzen für unseren Lebensstil akzeptieren und wenigstens ein Minimum unseres Wohlstands mit den durch uns in Not geratenen Menschen teilen. Bei uns! [8]

Das Flüchten muss endlich entkriminalisiert werden! Es muss gesicherte Flüchtlingswege geben, ohne kriminelle Schleuser, ohne abenteuerliche Reiserouten, ohne Lebensgefahr!

Jeder Mensch muss ein Recht darauf haben, bei uns einen Asylantrag stellen zu dürfen, nicht erst, wenn er bereits illegal innerhalb unserer Grenzen gelangt ist. Niemand sollte seine Identität aufgeben müssen, um das Risiko einer Abschiebung vermeintlich zu verringern. Und niemand darf als „illegal“ bezeichnet werden.

Frontex muss abgeschafft werden. Stattdessen müssen die Asylanträge viel schneller bearbeitet werden. Die Lagerhaltung von Flüchtlingen kann doch nicht unser Ernst sein. Selbst unsere Hühner kriegen zur Zeit mehr Auslauf als diese armen Menschen. Und die dachten eigentlich, dass sie ihr Leid schon hinter sich gelassen hätten. Und die Unsummen, die wir Jahr für Jahr für unseren Festungswahnsinn ausgeben, könnten direkt in die Bearbeitung von Asylanträgen und die Integration in unsere Gesellschaft fließen. Über 100 Millionen Euro pro Jahr, die man sofort für die Asylberechtigten zur Verfügung hätte.

Zu guter Letzt müssen auch die Dublin-II-Verträge endlich der Vergangenheit angehören. Jeder Mitgliedsstaat hat gefälligst seine Last zu tragen. Nicht nur finanziell. Auch und vor allem das reiche Deutschland. Unsere Gründungsväter haben schließlich nicht umsonst den §16 Abs.2 in unserem Grundgesetz verankert. Darin steht: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Ja, bei uns in Deutschland! Vor unserer Haustür! Mitten unter uns!

Ja, und selbstverständlich müssen nicht berechtigte Asylbewerber von uns abgelehnt werden dürfen. Aber nicht schon auf dem Weg zu uns, indem wir ihnen Benzin und Lebensmittel auf ihren Booten wegnehmen. Mit einer Entkriminalisierung des Fluchtversuchs würden wir den Flüchtlingen ihren Druck und den kriminellen Schleusern endlich ihr Geschäftsmodell nehmen. Bieten wir den Flüchtlingen endlich ein faires Asylverfahren und nehmen wir Asylberechtigte mit offenen Armen bei uns auf. Teilen wir mit ihnen, was wir haben (nennt sich „Christliche Werte“, nicht wahr, liebe Union). Wir werden sehen, dass wir danach trotzdem nicht in Armut leben müssen.

Ich weiß, das klingt jetzt sehr idealistisch, aber vielleicht, nur ganz vielleicht, wenn wir aufhören würden, Geschäfte mit den Arschlöchern dieser Welt zu machen und uns wirklich einmal für Frieden und Gerechtigkeit, von Umweltschutz ganz zu schweigen, einsetzen würden – so richtig ernsthaft! Vielleicht wollen diese Menschen dann gar nicht mehr aus ihrer Heimat fliehen. Vielleicht gefällt es ihnen ja, in der Nähe ihrer Familien und Freunde in einem nicht ausgebombten Haus zu leben.

Ich könnte mir das vorstellen.

Quellen:

[1]    Schiffunglück vor Lampedusa (taz)
[2]    Fast 200 Tote bei Lampedusa-Drama (taz)
[3]    EU-Innenminister uneinig (Zeit)
[4]    Frontex (Offizielle Homepage)
[5]    Frontex (Wikipedia)
[6]    Deutsche Asylpolitik (extra3)
[7]    Europa (Wikipedia)
[8]    Studie über Lebensmittelverschwendung (Stern)

Kloutscore – Offener Brief an Joachim

You are effectively using social media to influence your network

Lieber Joachim,

du hast mich auf Twitter gefragt, ob und wenn nicht, warum ich nicht bei der Kloutscore mitmache.

Ich schreibe dir hier, weil meine Antwort nicht in 140 Zeichen passt. Ich schreibe dir offen, weil die Antwort ausführlicher geworden ist als geplant und weil ich Dinge anspreche, die ich gerne auch einmal offen ansprechen möchte.

Ich habe ein Problem damit, dass sich in der Piratenpartei immer häufiger diejenigen durchsetzen, die viel Zeit übrig haben, um in sozialen Netzwerken Werbung für sich selber machen zu können. Dadurch werden – wie du selber mit deiner Analyse feststellen konntest – bei internen Wahlen nicht zwangsläufig die besten Kandidaten gekürt, sondern generell die mit der meisten Zeit. Und dabei spielt es offensichtlich keine Rolle, welche weiteren Kompetenzen oder politischen Inhalte die Kandidaten mitbringen.

Profiteure dieses Umstands sind Studenten, Rentner, Arbeitslose, Beamte und alleinstehende Berufstätige (kann man sicherlich nicht pauschalisieren, aber ich hoffe die Denkrichtung ist klar). Selbstständige Unternehmer, vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in einer Partnerschaft oder gar mit Familie können nur dann einigermaßen mit den anderen Gruppen mithalten, wenn sie entweder keinerlei anderen Hobbies, Ehrenämtern etc. nachgehen und/oder der Partner sich ebenfalls gleichermaßen in der Piratenpartei engagiert bzw. das eigene Engagement uneingeschränkt unterstützt. Ungebildete und/oder sozial schwache Menschen mit begrenztem (technischem und/oder intellektuellem) Zugang zu den sozialen Netzwerken haben in diesem System meines Erachtens überhaupt keine Chance!

Dadurch repräsentieren wir nicht einmal ansatzweise den Schnitt durch die Gesellschaft, sondern nur einige wenige gesellschaftliche Gruppen. Also nähern wir uns mit unseren Repräsentanten denen der etablierten Parteien immer weiter an und entfremden uns ebenso immer weiter von der tatsächlichen Gesellschaft. Da können wir noch so oft Chancengleichheit und soziale Teilhabe predigen. So lange wir intern diese Chancengleichheit und Teilhabe nicht leben, werden wir immer unglaubwürdiger und zu Recht nicht mehr von den Menschen als ihre politischen Vertreter gewählt.

Kleine unwichtige Randbemerkung: (Im ungünstigsten Fall könnte dieses System sogar dazu führen, dass jemand mit viel Geld einen Stab finanziert, der in seinem Namen massiv Werbung für sich in den sozialen Netzwerken betreibt, dadurch einen hohen internen Status erlangt und in eine Spitzenposition gewählt wird. Bei 2% Zustimmung ist das nicht besonders lukrativ, aber bei 13%, die wir im vergangenen Jahr vorübergehend hatten durchaus vorstellbar.)

Ich persönlich habe, wie du weißt, momentan keinerlei Ambitionen ein weiteres Amt oder Mandat für die Piratenpartei auszuüben. Ich tue mich zurzeit auch echt schwer, meinen Kopf, z.B. bei der DADINA für die Piraten hinzuhalten. Es gibt viele Punkte, besonders in unserem Kreisverband, die mich abschrecken und mich daran zweifeln lassen, ob ich Politiker (bei den Piraten) sein möchte, wenn dies bedeutet ein „normaler“ Politiker sein zu müssen, z.B. wenn es darum geht, dass persönliche Statements immer der abgestimmten Parteimeinung entsprechen muss, die immer häufiger nicht von der Basis sondern von der Parteiführung vorgegeben wird. Ich hatte mir von den Piraten eine andere politische Kultur erwartet, diese auch gelebt und bin im vergangenen Jahr eines besseren (oder schlechteren) belehrt worden. Wir schulden nach wie vor den Beweis, dass wir tatsächlich einen neuen Politikstil in das bestehende System bringen und nicht nur ein großes Stück vom bereits bestehenden Kuchen ergattern wollen.

Um auf deine Frage konkret zu antworten. Ich bin vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. [Beliebiger Name] konnte ich zwar kurzzeitig davon überzeugen Mitglied in der Piratenpartei zu werden, aber sie ist durch den rauen Umgangston dermaßen verschreckt wurden, dass sie es noch nicht einmal ein halbes Jahr bei uns ausgehalten hat. Dementsprechend habe ich also zusätzlich noch einen Partner, der mein politisches Engagement nicht teilt. Ab dem Sommer haben wir dann auch noch unsere eigene kleine Familie, die viel Aufmerksamkeit von uns fordern wird. Und daneben übe ich (auch für die Piraten) diverse Ehrenämter aus und – ja! – ich habe auch neben der Piratenpartei noch andere Hobbies in meinem Leben.

Dementsprechend zähle ich mich selbst zur zweiten Gruppe, die ich oben aufgeführt habe. Ich habe schlichtweg keine Zeit, die sozialen Netzwerke ausreichend zu pflegen. Twitter nutze ich in der Regel nur, wenn ich von meinen Sitzungen berichte, Facebook hauptsächlich, um den Kontakt mit Freunden in aller Welt nicht zu verlieren. Und mein eigener Blog weiß glaub ich gar nicht mehr wie ich heiße 😀

Du siehst, mein Kloutscore liegt bei einer Skala von 1 – 100 wahrscheinlich im negativen Bereich. Und ich finde es etwas absurd, Zeit für ein Medium zu investieren, dass eine Aussage darüber trifft, welche Auswirkungen mein Gebrauch mit anderen Medien hat, für die ich eigentlich keine Zeit habe. Deshalb meine Antwort: Nein, ich nutze Kloutscore nicht. Aus den oben genannten Gründen 🙂

Ungeachtet dessen möchte ich dich ermutigen, weiterhin diese Analysen zu betreiben, weil sie eine hohe Aussagekraft besitzen.

Interessant finde ich zum Beispiel, dass alle Kandidaten, die wir in letzter Zeit aufgestellt haben, an Kloutscore teilnehmen. Es bedarf ja einer aktiven Handlung dazu. Das bedeutet für mich, dass sich die Kandidaten alle darüber im Klaren sind, dass sie die sozialen Netzwerke möglichst viel und effektiv nutzen müssen, um eine hohe Zustimmung bei Wahlen zu erhalten. Und im Umkehrschluss bedeutet das für mich auch, dass ein Kandidat, der Kloutscore nicht nutzt, keine Chance innerhalb der Piratenpartei hat!

Was mich nach wie vor aber ermutigt, mich für die Piraten zu engagieren sind Menschen wie du, die Ideale haben und dafür kämpfen. Ohne Menschen wie dich in der Piratenpartei wäre ich längst wieder passives Gesellschaftsmitglied und würde wie früher über „die da oben“ schimpfen anstatt selber zu versuchen es besser zu machen.

In diesem Sinne grüße ich dich ganz herzlich und wünsche dir weiterhin viel Mut und Ausdauer!

André

Eröffnungsrede zum Kreisparteitag der Piratenpartei Darmstadt am 30.06.2012

Ahoi zusammen!

An den Infoständen werden wir immer wieder gefragt: „Warum habt ihr euch eigentlich PIRATEN genannt? Woher kommt dieser ungewöhnliche Name?“

Manchmal erzähle ich die etwas ausführliche Geschichte um das Anti-Piraterie-Büro, das in Schweden zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen eingerichtet wurde. Und auch über die Bewegung rund um die Piratenbucht, aus der dann der politische Flügel, also die Piratenpartei in Schweden und später auch in Deutschland entstand.

Viel lieber aber erzähle ich die Geschichte vom griechischen Wort „peiran“, von dem sich das deutsche Wort „Pirat“ ableiten lassen soll. Es bedeutet „etwas wagen“, also Mut haben.

Und genau dieser Mut der Piratenpartei war es, der mich 2009 innerhalb weniger Tage in unsere Partei gelockt hat. Dieser Mut, auch mal einen anderen und nicht den so genannten „etablierten“ Weg zu gehen.

Vorratsdatenspeicherung, Internetzensur, biometrische Datenerhebungen, internationale Datenabkommen und all die anderen Gesetzesvorhaben, die unsere Freiheit beschneiden sollen? Für die etablierten Parteien sind diese meist nicht zu hinterfragende Mittel oder sie nennen sie gar alternativlos im Namen der Verbrechensbekämpfung.

Die Piraten nicht.

Sie besitzen den Mut, sich sogar als Fürsprecher pädophiler Kriminalität beleidigen zu lassen, weil sie sich standhaft gegen Zensur und Datenkraken stellen.

Junge Menschen, die sich mutig dem gealterten, starren Politiksystem entgegenstellen? Das hat mich beeindruckt.

Neben dem Mut waren es noch auch zwei weitere Eigenschaften, die mich bei den Piraten beeindruckt haben.

Zum einen ist das die Schwarmintelligenz. Bei den etablierten Parteien muss man oft zuerst einen gewissen Status erlangen, um von den anderen Parteimitgliedern gehört zu werden. Manche Ideen werden gar von der Parteispitze diktiert, die Basis muss sich dieser dann anschließen.

Bei uns nicht. Jeder Pirat, ja sogar jeder Nicht-Pirat, findet bei uns die Möglichkeit, eigene Ideen zu kommunizieren und vom Schwarm weiterentwickeln zu lassen.

Und das beeindruckt mich.

Zum anderen ist es das gegenseitige Vertrauen. Bei den etablierten Parteien muss die individuelle Meinung oft zuerst über den Schreibtisch eines Partei- oder Fraktionsvorsitzenden bevor sie in die Öffentlichkeit darf. Alles wird feingeschliffen und notfalls sogar zensiert.

Bei uns nicht. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, vertrauen wir darauf, dass die anderen Piraten immer im Sinne der Freiheit handeln. Alles ist schließlich transparent und jeder kann seine Meinung öffentlich sagen und von der Öffentlichkeit gehört werden.

Und auch das beeindruckt mich.

Mut, Schwarmintelligenz, Vertrauen…

In letzter Zeit habe ich den Eindruck gewonnen, dass diese – ich nenn sie mal Tugenden – also diese Tugenden der Piratenpartei etwas verloren gegangen sind.

Mutig sein? Einen unkonventionellen Weg gehen? Kontroverse Entscheidungen treffen? Also nicht so wie die anderen Piraten? Oder gar unsere potenziellen Wähler?

Lieber nicht. Wir könnten ja von den hohen Umfragewerten abrutschen, uns in den Medien blamieren. Oder gar bei der nächsten Wahl.

Und immer dieser lästige Schwarm. Warum denken die anderen nicht genau so wie ich? Es würd doch so einfach gehen, wenn die anderen mich nur verstehen und sich meiner Meinung anschließen würden.

Oder ich schließ mich einfach der Meinung eines Wortführers an. Dann mach ich nichts falsch. Und dann kann ich schön auf dem rumhacken, der eine Minderheitsmeinung vertritt.

Hat doch auch etwas von Schwarm… Oder doch eher von einer Schafherde?

An Vertrauen ist da nicht mehr zu denken. Wer weiß, was der andere wirklich mit seinem Blog-Eintrag meint. Der will sich doch nur für die nächste Listenaufstellung positionieren. Aber auf die Liste will ich doch drauf.

Da! Hat sie gerade etwa einen diskriminierenden Tweet gesendet? Sofort Shitstorm initiieren! Dann kann sie ihren Pressesprecher-Posten direkt mal an den Nagel hängen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte sie den eh nie bekommen. Völlig ungeeignet.

Nein. Ganz so schlimm ist es bei uns im KV zum Glück nicht. Und die Gefahr ist zum Glück auch nicht groß, dass es bei uns so weit kommen wird. Dazu ist der gegenseitige Respekt bei uns viel zu groß. Außerdem sind wir immer noch der geilste KV ever.

Heute sind wir zusammen gekommen, um einen neuen Vorstand zu wählen. Als ich nach meinem Urlaub ins Wiki geschaut habe, habe ich die Namen vieler mutiger Piraten gelesen, die sich zutrauen, einen Vorstandsposten zu übernehmen. Und es gehört wirklich Mut dazu, sich neben Beruf oder Studium, neben Familie, Freunden und anderen sozialen Verpflichtungen, in nicht unerheblichem Umfang ehrenamtlich für den KV engagieren zu wollen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.

Und das beeindruckt mich mal wieder von den Piraten.

Na ja, und einige, die vielleicht nicht ganz so mutig waren, wurden dann eben vom Schwarm ermutigt, für den Vorstand zu kandidieren. Auch das ist beeindruckend, denn es zeugt von unserem gegenseitigen Vertrauen.

Ich jedenfalls traue jedem einzelnen von uns zu, eine Aufgabe für den KV zu übernehmen. Jeder von uns kann diesem KV vorstehen und es bleibt trotzdem der geilste KV ever.

Weil WIR die Tugenden der Piraten nicht vergessen haben. Wir bleiben mutig, wir behalten unsere Schwarmintelligenz und wir behalten unser gegenseitiges Vertrauen. Davon bin ich überzeugt.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen konstruktiven und erfolgreichen KPT heute. Und denkt dran, dass wir nachher noch grillen wollen.

Piraten: Neue Hoffnung gegen Politikverdruss

Gestern wurde im Saarland ein neuer Landtag gewählt. Mit Spannung erwarteten alle Parteien die erste Hochrechnung und um 18 Uhr gab es dann wie gewohnt Gewinner und Verlierer an der Saar. Die CDU jubelte, weil ihre Spitzenkandidatin mit sicherem Vorsprung nun erneut Ministerpräsidentin werden kann. Die SPD ging mit gemischten Gefühlen in den Abend, weil man zwar sein Ergebnis verbessern konnte, aber wieder nicht die stärkste Kraft im Saarland wurde.

Schlechter hingegen fiel das Ergebnis der Linken aus. Mit 16,1% lag man über 5% schlechter als bei der letzten Wahl. Gar desaströs wurde es für die FDP. Gerade einmal 1,2% und damit deutlich weniger Stimmen als die Familienpartei (1,7%) sorgten für lange Gesichter bei den Anhängern. Und auch die Grünen mussten lange zittern bis sie die Gewissheit hatten, mit 5,0% und damit mit zwei Abgeordneten im zukünftigen Landtag zu sitzen.

Vergleich der Landtagswahlen 2009 und 2012 (Quelle: Wahlleiter Saarland)

Die Kameras fingen Gesichter ein, Reporter suchten Interviewpartner und in den Wahlstudios diskutierte man über die Ergebnisse und spekulierte schon einmal, wer denn nun jetzt mit wem und mit wem nicht usw… Die einen fühlten sich als Sieger, andere als Sieger der Herzen und die Verlierer suchten die Schuld beim politischen Gegner.

„Same procedure as every year, James.“

Aber all diese Bilder und Worte können über eins nicht hinwegtäuschen: Die Politikverdrossenheit nimmt weiter zu. Die Wahlbeteiligung sank innerhalb von drei Jahren von 67,6% auf nur mehr 61,6%. Zieht man hiervon noch die 2,1% (!) ungültigen Stimmen ab, die man bei einer Wahl mit einer Stimme durchaus als Protest werten kann, sind wir bei deutlich unter 60%. Und das bei einer Landtagswahl!

Verteilung der Stimmen aller Wahlberechtigten (Quelle: Wahlleiter Saarland)

Selbst eine große Koalition aus CDU und SPD kann mit 70% der Sitze im Landtag nicht die Mehrheit der  Bevölkerung vertreten. Sie kommt nur auf 39,8% der Stimmen aller Wahlberechtigten. Größte (außerparlamentarische) Fraktion bleibt der Nichtwähler mit 39,7%. Wenn man bedenkt also in etwa so stark wie die große Koalition. Das sind noch einmal 6% mehr als 2009, als 33,5% der Wähler zu Hause blieben oder ungültig wählten.

Absolute Stimmengewinne und Verluste (Quelle: Wahlleiter Saarland)

Ich könnte heulen während ich diese Analyse schreibe, gäbe es da nicht einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Eine Partei, die den Bürger mitnimmt. Eine Partei, die nicht heuchelt, dass sie alles regeln könne, sondern den Bürger nach seiner Meinung fragt. Nicht nur, wenn es im Wahlkampf um seine Stimme geht, sondern immer, 365 Tage im Jahr. Und diese Meinung vor allem auch ernst nimmt.

Natürlich rede ich von der Piratenpartei. Von wem denn sonst. Von ihren sensationellen 7,4% waren rund 2% (28% der Piratenstimmen) Stimmen von ehemaligen Nichtwählern. Etwa 10.000 Menschen, die 2009 zu Hause geblieben sind, sind also diesmal wählen gegangen. Für die Piraten. Laut der Tagesschau waren die Piraten nämlich die einzigen, die diese Menschen überzeugen konnten. Alle anderen Parteien verloren Wähler an die Politikverdrossenheit – selbst die SPD, die insgesamt ein leichtes Stimmenplus erzielen konnte.

Aber was bedeutet es, dass die Piraten die Nichtwähler erreichen können?

In erster Linie natürlich, dass die Piraten weiterhin erfolgreich bleiben und zukünftig noch erfolgreicher werden könnten. Im Mai stehen die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen an. Die Umfragen sehen die Piraten in beiden Ländern stabil über 5%, Erfolge gelten also als wahrscheinlich und können einen Trend für die Bundestagswahl 2013 einleiten.

Zum anderen aber auch – und das hoffe ich wirklich! – dass die anderen Parteien sich für die Ideen der Piraten öffnen werden. Diese Ideen liegen aber nicht bei den Themen, wie z.B. Netz-, Sozial- oder Finanzpolitik. Jede Partei ist schließlich fähig, zu den einzelnen Themen Positionen zu finden, hübsche Flyer zu drucken und damit um die Gunst der Wähler zu buhlen.

Liebe Altparteien und Medien: Der Erfolg der Piraten liegt nicht bei den Inhalten! Der Erfolg liegt im Gesamtkonzept oder wie wir sagen: „Im Betriebssystem.“

Die Menschen können bei uns Politik machen und Spaß dabei haben. Auf jedem Stammtisch, bei jedem Arbeitstreffen, auf all unseren Parteitagen kann und darf jeder Bürger mitreden und seine Ideen einbringen. Bei einem gepflegten Bier, bei einer erfrischenden Mate, bei Schnitzel und Pommes. Ohne Einstiegshürde, ohne Parteibuch.

In den vielen (hauptsächlich kommunalen) Parlamenten, in denen Abgeordnete der Piratenpartei sitzen, wurden Anträge gestellt, um die politische Arbeit in den Ausschüssen, Gremien und im Plenarsaal transparenter zu gestalten. Live-Ticker, Radio- und Videoübertragungen sind mittlerweile an vielen Orten verfügbar, auch wenn es oft viel Überzeugungsarbeit gekostet hat und nicht alle Abgeordneten mit der neu geschaffenen Offenheit einverstanden sind.

Die Politik wandelt sich. Sie muss sich wandeln, sonst schaufelt sie sich ihr eigenes Grab. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Mensch und Politik weiter voneinander entfremden. Politik darf sich in den Köpfen der Menschen nicht als bloße Bürokratie, als verstaubte Verwaltung von Menschen einbrennen. Politik muss Sprachrohr für die Bedürfnisse der Menschen sein. Politik muss menschlich sein. Mit Fehlern, mit Unvollkommenheit. Wandelbar.