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Freier Handel für freie Bürger

Seit 1990 arbeiten die nordamerikanischen und die europäischen Staaten an einem Transatlantischen Freihandelsabkommen, kurz TAFTA oder TTIP. Nach mehreren Entschlüssen seitens der EU wurde im Jahre 2007 zunächst die Rahmenvereinbarung zur Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsintegration mit den USA unterzeichnet und der Transatlantische Wirtschaftsrat gegründet, der sich seitdem darum bemüht, lästige Handelshürden auf beiden Seiten abzubauen. [1], [2]

23 Jahre nach dem ersten Entschluss, also seit diesem Jahr, gibt es nun erste Sondierungsgespräche zwischen den USA und der EU, um das Transatlantische Abkommen zu konkretisieren. Natürlich werden die Gespräche nicht von demokratisch legitimierten oder wenigstens vom EU-Parlament entsendeten Vertretern geführt. Nein, solch wichtige Verhandlungen führen natürlich die von der Wirtschaft völlig unabhängigen (Vorsicht: Ironie!) Mitglieder der EU-Kommission, die seit langem dafür bekannt ist, Gesetze in Hinterzimmern auszuhandeln. [1], [2], [3]

Wer außerdem glaubt, es ginge bei diesem Abkommen darum, für den Verbraucher preistreibende Zölle abzubauen, liegt erneut auf dem falschen Transatlantischen Dampfer. Lediglich 4-7% der zwischen den Partnern gehandelten Waren werden derzeit überhaupt verzollt. Und das mit einer minimalen Zollrate von gerade einmal 3%. Das führt dann dazu, dass die USA schon seit vielen Jahren Nr.1-Abnehmer für Europäische Waren und Nr.2-Exporteur für Waren in die EU ist. Nur China liefert noch mehr Güter nach Europa. [4], [5]

Handel EU-USA

Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA (2010)

Die Handelspartner erhoffen sich ganz andere Wirkungen von TAFTA. Beide Wirtschaftsräume sind zur Zeit finanziell stark angeschlagen. In Europa haben wir die Euro-Krise noch längst nicht überstanden und können mit weiteren exorbitanten Steuergeld-Transferierungen an die Banken rechnen, bei denen die zahlungsunfähigen Staaten ihre Schulden haben. Und die USA sind gerade noch einmal mit einem blauen Auge aus ihrer Haushaltskrise davongekommen. Natürlich mit einer weiteren exorbitanten Erhöhung der Staatsschulden. Es lebe der Steuerzahler! [6], [7]

Durch eine Erhöhung des Handels soll es mehr Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks geben. 160.000 neue Jobs in der EU. Lohnsteigerungen bis zu 1%. Nur durch TAFTA. Und das meinen die ernst. Wachstum auf beiden Seiten! In welcher Elite-Uni habt ihr das denn bitte gelernt, liebe Wirtschaftsexperten? Wir reden hier doch von einem geschlossenen System, bei dem auf der einen Seite das reinfließt, was auf der anderen Seite weggenommen wurde. [8], [9], [10]

Geschlossenes System

Kreislauf eines geschlossenen Systems

Nein, natürlich wissen das auch unsere Verhandlungspartner, aber „Wirtschaftswachstum“ zieht offensichtlich immer. In Wirklichkeit geht es den verlängerten Armen der großen Konzerne tatsächlich um Wettbewerbsvorteile gegenüber anderer Wirtschaftsräume auf der Welt, vor allem China und Japan, aber natürlich auch Russland und die immer stärker werdenden Schwellenländer. [11]

Um sich in diesem globalen Wettbewerbsdruck besser behaupten zu können, sollen nach Wunsch der Lobbyisten im Zuge des TAFTA weitere vermeintliche Handelshürden fallen, die oft aus Verbraucherschutzgründen eingeführt wurden sind. So flüstern Vertreter der amerikanischen Agrarwirtschaft – allen voran der Agrarriese Monsanto -, der gesamten westlichen Pharmaindustrie, des Silicon Valleys und vieler anderer Wirtschaftszweige auf beiden Seiten des Atlantiks schon in die Ohren der Vertragspartner. Sie werben für die Etablierung von Bio- und Software-Patenten, für die Einführung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln und hormonbehandeltem Fleisch, sowie für die Umgehung von aufwendigen Zulassungsverfahren für Arzneimittel und eine ganze Latte anderer Scherze. [10], [11], [12]

Man mag meinen, dass man sich in den vergangenen 23 Jahren wenigstens innerhalb der EU auf ein paar Mindeststandards und Richtlinien hätte einigen können, mit denen man in die Verhandlungen tritt. Sozialstandards, Umweltrichtlinien, ethische Rahmenbedingungen, Verbraucherschutz – um mal nur ein paar zu nennen. Vielleicht wenigstens die Regeln, die wir via EU-Parlament schon für den Binnenraum Europas verabschiedet haben?

Es steht leider zu befürchten, dass im Sinne der Wirtschaftsförderung und des Wachstums als Maxime der transatlantischen Zusammenarbeit diese wichtigen Grundlagen gerne geopfert werden. Man kann also bei erfolgreichem Abschluss eines Abkommens unter den gegebenen Umständen tatsächlich davon ausgehen, dass Sozialabbau, laxere Umweltschutzbestimmungen und die Einführung von allerlei fragwürdigen Agrarprodukten auf beiden Seiten des Atlantiks Standard werden. [11,], [12]

Soweit zum wirtschaftlichen Teil. Und der ist wirklich schon schlimm genug! Aber wir müssen bei TAFTA immer auch die Gefahren für die Demokratie und den Rechtsstaat betrachten.

Schon der Auftakt in die Sondierungsgespräche stand unter keinem guten Stern. Im Rahmen der Snowden-Enthüllungen kam heraus, dass Büros der europäischen Handelspartner offensichtlich von der NSA überwacht wurden, u.a. um sich auf amerikanischer Seite Vorteile für die Verhandlungen selbst zu verschaffen. So viel zum Thema „Vorteile des Abkommens auf beiden Seiten“. [13], [14]

Generell muss man sich fragen, ob man mit einem Staat ein solches Abkommen schließen möchte, der keinen Hehl daraus macht, systematisch die Bevölkerung des Vertragspartners nach eigenem Gusto zu bespitzeln und gelichzeitig intensive Wirtschaftsspionage auch auf europäischem Raum – ja, auch und gerade in Deutschland! – zu betreiben. Und bemüht ist, dieser Datenspionage durch TAFTA auch bei uns einen legalen und gesellschaftsfähigen Rahmen zu geben.  [15], [16], [17]

Wollen wir nicht? Ja, wenn die Verhandlungen durch Vertreter des EU-Parlaments stattfinden würden, könnten wir Bürger wenigstens durch die EU-Wahlen unsere Verhandlungspartner selbst bestimmen. Oder die Rahmenbedingungen dafür, dass überhaupt Verhandlungen stattfinden – oder auch nicht.

Diese Umgehung der Demokratie ist gefährlich! Denn TAFTA wird nicht das einzige Abkommen bleiben, dass die EU mit Drittstaaten aushandeln wird. Wenn wir uns dieses Vorgehen dieses Mal gefallen lassen, wird es schwierig, beim nächsten Mal etwas anderes zu verlangen.

Es gibt Stimmen, die die Sorge äußern, dass durch die Erweiterung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes auf die ähnliche räumliche Ausdehnung der NATO die Häufigkeit von Wirtschaftskriegen mit europäischer – also vermehrt auch deutscher – Beteiligung wachsen könnte. Also quasi ein Wirtschaftsraum mit äquivalentem Verteidigungsraum, der seine Interessen notfalls auch militärisch durchsetzen kann und wird.

Abgesehen davon, dass Kriege letztendlich immer auch ein wirtschaftliches Motiv besitzen, könnte dies tatsächlich ein Ungleichgewicht in die derzeit bestehende Weltordnung bringen. Andere globale Player wie China oder Russland könnten sich zu Gegenmaßnahmen mit unbekanntem Ausmaß genötigt sehen. Aber das ist tatsächlich noch reine Spekulation.

Zusammengefasst kann man wohl sagen, dass im Interesse der europäischen und nordamerikanischen Völker die Verhandlungen über TAFTA dringend gestoppt werden müssen. Europa MUSS zuerst im demokratischen Sinne und in transparenter Vorgehensweise ganz klare Rahmenbedingungen definieren und Bedingungen formulieren, mit denen tatsächliche Volksvertreter in transatlantische Verhandlungen treten. Dazu gehören:

–          Ein klares JA zu Demokratie! Das EU-Parlament muss als direkt gewählte Volksvertretung alle notwendigen Kompetenzen für die weiteren Verhandlungen übertragen bekommen.

–          Ein klares JA zu mehr sozialer Gerechtigkeit! Die Verhandlungen müssen im Sinne der Menschen und nicht der Wirtschaftsunternehmen geführt werden. Der Illusion, dass „was Arbeit schafft“ auch „sozial“ ist, dürfen wir uns nicht mehr hingeben.

–          Ein klares JA zum Datenschutz! Menschen und Betrieben dürfen durch den vermeintlichen Wirtschaftspartner nicht länger ausspioniert werden.

–          Ein klares NEIN zu Agrar- und Softwarepatenten sowie zu anderen gesundheitlich und ethisch bedenklichen Produkten! Verbraucher- und Umweltschutz müssen immer vor wirtschaftlichen Interessen stehen. Und wir können es uns leisten, Möglichkeiten zu schaffen, dass diese Punkte nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen.

–          Ein klares NEIN zu „Wachstum als Wirtschaftsmaxime“! Wirtschaftswachstum darf nie um jeden Preis erzielt werden. Wir können es uns leisten, eine Wirtschaft aufzubauen, die mit den vorhandenen Mitteln auskömmlich wirtschaften kann.

–          Ein klares NEIN zu Wirtschaftskriegen, auch unter ideologischem Denkmantel! In diesem Zusammenhang könnte man gemeinsam mit den Partnerländern noch einmal an den Aufgaben der NATO arbeiten.

Im kommenden Jahr sind Europawahlen. Zeigen wir unseren Politikern mit unserer Stimme, in welche Richtung die europäische Reise gehen soll!

Quellen und Leseempfehlungen:

[1] Transatlantisches Freihandelsabkommen (Wikipedia)
[2] Freihandelszone EU/USA (Tagesschau)
[3] Lobbyist packt aus (Deutsche Wirtschaftsnachrichten)
[4] Importzoll (Wikipedia)
[5] Eurostat
[6] Eurokrise (Wikipedia)
[7] Dann bis demnächst (Der Freitag)
[8] Bertelsmann Stiftung
[9] Eigentümliche Rechnung (fr)
[10] Bertelsmannstiftung macht Stimmung für Eu-USA Freihandelsabkommen (Lobbycontrol)
[11] Nachdenkseiten
[12] Monsanto durch Hintertüren zu den Konsumenten (H0rusfalke)
[13] EU-Kommission lässt Vertretungen nach NAS-Affäre durchsuchen (Spiegel)
[14] Viele Baustellen im transatlantischen Freihandelsabkommen (Netzpolitik)
[15] Wirtschaftsspionage NSA USA Deutschland (Zeit)
[16] TAFTA TTIP Urheberrecht (Zeit)
[17] Das Parlament soll nicht bestimmen dürfen, was der Wirtschaft erlaubt ist (TELEPOLIS, heise)

Eröffnungsrede zum Kreisparteitag der Piratenpartei Darmstadt am 30.06.2012

Ahoi zusammen!

An den Infoständen werden wir immer wieder gefragt: „Warum habt ihr euch eigentlich PIRATEN genannt? Woher kommt dieser ungewöhnliche Name?“

Manchmal erzähle ich die etwas ausführliche Geschichte um das Anti-Piraterie-Büro, das in Schweden zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen eingerichtet wurde. Und auch über die Bewegung rund um die Piratenbucht, aus der dann der politische Flügel, also die Piratenpartei in Schweden und später auch in Deutschland entstand.

Viel lieber aber erzähle ich die Geschichte vom griechischen Wort „peiran“, von dem sich das deutsche Wort „Pirat“ ableiten lassen soll. Es bedeutet „etwas wagen“, also Mut haben.

Und genau dieser Mut der Piratenpartei war es, der mich 2009 innerhalb weniger Tage in unsere Partei gelockt hat. Dieser Mut, auch mal einen anderen und nicht den so genannten „etablierten“ Weg zu gehen.

Vorratsdatenspeicherung, Internetzensur, biometrische Datenerhebungen, internationale Datenabkommen und all die anderen Gesetzesvorhaben, die unsere Freiheit beschneiden sollen? Für die etablierten Parteien sind diese meist nicht zu hinterfragende Mittel oder sie nennen sie gar alternativlos im Namen der Verbrechensbekämpfung.

Die Piraten nicht.

Sie besitzen den Mut, sich sogar als Fürsprecher pädophiler Kriminalität beleidigen zu lassen, weil sie sich standhaft gegen Zensur und Datenkraken stellen.

Junge Menschen, die sich mutig dem gealterten, starren Politiksystem entgegenstellen? Das hat mich beeindruckt.

Neben dem Mut waren es noch auch zwei weitere Eigenschaften, die mich bei den Piraten beeindruckt haben.

Zum einen ist das die Schwarmintelligenz. Bei den etablierten Parteien muss man oft zuerst einen gewissen Status erlangen, um von den anderen Parteimitgliedern gehört zu werden. Manche Ideen werden gar von der Parteispitze diktiert, die Basis muss sich dieser dann anschließen.

Bei uns nicht. Jeder Pirat, ja sogar jeder Nicht-Pirat, findet bei uns die Möglichkeit, eigene Ideen zu kommunizieren und vom Schwarm weiterentwickeln zu lassen.

Und das beeindruckt mich.

Zum anderen ist es das gegenseitige Vertrauen. Bei den etablierten Parteien muss die individuelle Meinung oft zuerst über den Schreibtisch eines Partei- oder Fraktionsvorsitzenden bevor sie in die Öffentlichkeit darf. Alles wird feingeschliffen und notfalls sogar zensiert.

Bei uns nicht. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, vertrauen wir darauf, dass die anderen Piraten immer im Sinne der Freiheit handeln. Alles ist schließlich transparent und jeder kann seine Meinung öffentlich sagen und von der Öffentlichkeit gehört werden.

Und auch das beeindruckt mich.

Mut, Schwarmintelligenz, Vertrauen…

In letzter Zeit habe ich den Eindruck gewonnen, dass diese – ich nenn sie mal Tugenden – also diese Tugenden der Piratenpartei etwas verloren gegangen sind.

Mutig sein? Einen unkonventionellen Weg gehen? Kontroverse Entscheidungen treffen? Also nicht so wie die anderen Piraten? Oder gar unsere potenziellen Wähler?

Lieber nicht. Wir könnten ja von den hohen Umfragewerten abrutschen, uns in den Medien blamieren. Oder gar bei der nächsten Wahl.

Und immer dieser lästige Schwarm. Warum denken die anderen nicht genau so wie ich? Es würd doch so einfach gehen, wenn die anderen mich nur verstehen und sich meiner Meinung anschließen würden.

Oder ich schließ mich einfach der Meinung eines Wortführers an. Dann mach ich nichts falsch. Und dann kann ich schön auf dem rumhacken, der eine Minderheitsmeinung vertritt.

Hat doch auch etwas von Schwarm… Oder doch eher von einer Schafherde?

An Vertrauen ist da nicht mehr zu denken. Wer weiß, was der andere wirklich mit seinem Blog-Eintrag meint. Der will sich doch nur für die nächste Listenaufstellung positionieren. Aber auf die Liste will ich doch drauf.

Da! Hat sie gerade etwa einen diskriminierenden Tweet gesendet? Sofort Shitstorm initiieren! Dann kann sie ihren Pressesprecher-Posten direkt mal an den Nagel hängen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte sie den eh nie bekommen. Völlig ungeeignet.

Nein. Ganz so schlimm ist es bei uns im KV zum Glück nicht. Und die Gefahr ist zum Glück auch nicht groß, dass es bei uns so weit kommen wird. Dazu ist der gegenseitige Respekt bei uns viel zu groß. Außerdem sind wir immer noch der geilste KV ever.

Heute sind wir zusammen gekommen, um einen neuen Vorstand zu wählen. Als ich nach meinem Urlaub ins Wiki geschaut habe, habe ich die Namen vieler mutiger Piraten gelesen, die sich zutrauen, einen Vorstandsposten zu übernehmen. Und es gehört wirklich Mut dazu, sich neben Beruf oder Studium, neben Familie, Freunden und anderen sozialen Verpflichtungen, in nicht unerheblichem Umfang ehrenamtlich für den KV engagieren zu wollen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.

Und das beeindruckt mich mal wieder von den Piraten.

Na ja, und einige, die vielleicht nicht ganz so mutig waren, wurden dann eben vom Schwarm ermutigt, für den Vorstand zu kandidieren. Auch das ist beeindruckend, denn es zeugt von unserem gegenseitigen Vertrauen.

Ich jedenfalls traue jedem einzelnen von uns zu, eine Aufgabe für den KV zu übernehmen. Jeder von uns kann diesem KV vorstehen und es bleibt trotzdem der geilste KV ever.

Weil WIR die Tugenden der Piraten nicht vergessen haben. Wir bleiben mutig, wir behalten unsere Schwarmintelligenz und wir behalten unser gegenseitiges Vertrauen. Davon bin ich überzeugt.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen konstruktiven und erfolgreichen KPT heute. Und denkt dran, dass wir nachher noch grillen wollen.