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Francesco

Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Heute war echt ein erlebnisreicher Tag. Eigentlich wollte ich von den vielen Schwulen in den Cascine erzählen, aber dann saß so einer beim Abendessen direkt neben mir und wird mir in den nächsten vier Wochen Italienisch beibringen! Na gut, ich mach das ganze mal ein bisschen chronologisch!

Gestern Abend habe ich mich also auf den Weg zur versprochenen Großleinwand gemacht. War leider wieder Fehlanzeige. Auf dem Platz vor Santo Spirito gab es nur eine Bühne für Live-Musik. Hm, nicht so ganz, was ich gesucht hatte. Aber auf dem Weg dorthin lief ich an einem Irish Pub vorbei, das das Spiel zeigte. Das war nur ein paar hundert Meter entfernt, direkt zwischen Ponte Vecchio und Santo Spirito und nannte sich verheißungsvoll “Friends“. Das Bier gab es allerdings nicht zum Freundschaftspreis, sondern 0,4 Liter für unsportliche 4,50€. Da musste ich erst einmal schlucken. Ich stellte mich an einen Tisch zu einem Pärchen so um die dreißig, die, wie sich herausstellte, aus Polen kamen und gut deutsch sprachen. Im Laufe des Spiels merkte ich schnell, dass die anderen Trinkgenossen alle fast ausschließlich aus Deutschland kamen. Selbst das Pärchen an meinem Tisch wohnt in Hannover. Na ja, die Armen mussten in der letzten Minute alle WM-Hoffnungen der Polen platzen sehen. Und das obwohl der polnische Torwart doch so gut gehalten hatte und so ein drei oder sogar vier zu null verhindert hatte. Nach dem Spiel war dann leider mein Kleingeld ausgegeben. Ich nehme immer nur ein paar Euro mit in die Stadt, weil ich doch ein bisschen Respekt vor Taschendieben hab. Die Stadt ist schon ziemlich voll von Menschen – ist schließlich gerade Hauptsaison – und da muss man ein wenig vorsichtig sein. Von den anderen Deutschen hab ich erfahren, dass auf dem Piazzale Michelangelo hoch über der Stadt wohl tatsächlich eine Großleinwand stehen soll. Na, ich bin gespannt!

Mena und Lorenzo waren gestern Abend im Theater und kamen erst recht spät, sogar nach mir zurück, obwohl heute in Italien kein Feiertag war. Die Mücke hat gestern aus dem Waffenstillstand scheinbar eine bedingungslose Kapitulation gemacht. In der Nacht gab es jedenfalls keine Zwischenfälle mehr. Erst heute Abend auf der Terrasse wurde ich erneut gestochen. Mein innerer Wecker funktioniert prima. Obwohl die Sonne schon ziemlich früh von der Terrasse in mein Zimmer scheint, weckt er mich erst so gegen zehn, halb elf. Eine perfekte Zeit, um aufzustehen. Heute hab ich mir zum Mittagessen ein paar Tortiglioni mit Menas leckerer Tomatensoße von gestern Abend gemacht und auf der Terrasse mit angenehmem Chill- House verdrückt. Lorenzo kam schon so gegen zwei von der Arbeit und fuhr kurz darauf weiter zu seiner Mutter, die schon 93 Jahre alt ist (!) und ab und zu ein bisschen Hilfe gebrauchen kann. Die Mittagshitze hier ist einfach unerbärmlich, und so blieb ich dann auch bis kurz vor vier in der Verhältnismäßig kühlen Wohnung und schrieb ein bisschen für unser Rollenspiel.

Ich hatte mir vorgenommen, heute eine Prepaid-Karte von der italienischen Telekom für mein Handy zu kaufen, weil meine Eltern die auch von denen haben, aber das war leider nicht so ganz einfach. Die kleinen Läden hatten alle von eins bis um vier Mittagspause, aber so genau mit der Zeit nimmt das hier niemand, und so hatten die Geschäfte alle um kurz nach vier noch geschlossen. Da es aber noch viel zu heiß zum draußen warten war, ging ich in den großen Oviesse an der Piazza hier im Viertel, der keine Mittagspause macht, und schaute mir ein paar Oberteile an. Eigentlich wollte ich mir noch nichts kaufen, weil ich ja noch ein bisschen hier bin, aber da gab es ein Hemd, das musste ich einfach anprobieren, und so bin ich froh, dass ich mit zwei nicht ganz vollen Taschen angereist bin. Da wird sicherlich noch mehr folgen. Um viertel nach Vier hatten dann die Läden auf, nur leider verkaufte der eine Telefonladen nur Vodafone und der zweite nur Wind, aber die Dame sagte mir zum Glück, wo ich einen Laden finden würde, der auch TIM (Telecom Italia Mobile oder so ähnlich heißt das) verkauft. Aber der hatte leider auch um kurz vor halb fünf noch nicht offen, und so kaufte ich mir eine Flasche Cola im Tabacchi nebenan und wartete in der immer noch prallen Sonne auf den Ladenbesitzer. Als der halbe Liter bereits wieder ausgeschwitzt, der werte Herr um kurz vor fünf immer noch nicht anwesend und meine Füße schon von Verbrennungen fünften Grades gezeichnet waren, entschloss ich mich dann doch, wieder nach Hause zu gehen.

Meine Tante, die inzwischen auch von der Arbeit gekommen war, nahm mich mit zum Einkaufen in den COOP um die Ecke. Dort kauften wir die Zutaten für den Festschmaus heute Abend und ein paar Köstlichkeiten für mich: Schoko-Müsli, gefüllte Croissants und Nutella fürs Frühstück. Im COOP haben die ein interessantes System. Wenn man sich registrieren lässt, kann man am Eingang ein kleines Gerät ausleihen, mit dem man die Waren direkt beim Einladen in den Einkaufswagen scannt. So sieht man direkt, wie viel man zahlen muss und an der Kasse gibt man einfach das Gerät ab und zahlt den Einkauf, den man bequem im Wagen lassen kann. Kontrolliert wird das wohl nur durch Stichproben.

Nach dem Einkauf bin ich dann zum ersten Mal Laufen gegangen. Mena hatte mir hierfür die Cascine empfohlen, ein großer Park direkt am Arno und ca. 3 km von der Wohnung hier entfernt. Die Cascine sind ein bekannter Treffpunkt für Homosexuelle, und so liefen mir dutzende gut gebaute, absolut stylische junge Bengel entgegen, die hier scheinbar auf Beutezug waren. Na ja, vielleicht waren die nicht alle schwul, und das ist nur ein italienisches Phänomen, denn selbst die vielen Frauen, die sich dort sportlich betätigten waren im neuesten Trend. Überall sah man nur Muskelshirts (wenn überhaupt), bauchfreie Sport-Tops, hochgebundene Sporthosen, MP3-Player um den Oberarm und wirklich jeden zweiten Sportler mit Handy in der Hand oder Bluetooth im Ohr am Telefonieren. Unglaublich! Da bin ich als Normalo richtig aufgefallen, mit 0-8-15- Laufdress und vier Jahre altem MiniDisk-Spieler. Und ein Tempo hatten die drauf! Selbst die alten Opas (auch größtenteils mit Handy) zogen mich locker ab. Na gut, die sind wahrscheinlich auch die Hitze gewohnt, die trotz sieben Uhr abends immer noch über den Straßen flimmerte.

Bruna (die Cousine meines Vaters) und Mario (ihr Mann), die heute zum Abendessen kamen, wohnen direkt gegenüber den Cascine am anderen Arno-Ufer. Mena hatte arrangiert, dass ich nicht durch die versmogte Stadt zurücklaufen musste und von den beiden mitgenommen wurde. So war ich das erste Mal bei ihnen zu Hause und genoss eine kühle Dusche mit Arno-Blick. Wirklich sehr nette Wohnung….

Ich merke schon, heute wird‘s viel!

Zur Cena kam auch noch Francesco, der junge Mann, der mir in den nächsten Wochen Italienisch beibringen wird. Moment, habe ich junger Mann gesagt? Der ist ja schon ein alter Sack. Ich dachte, der wär‘ ein Student! Dabei ist er ein ehemaliger Arbeitskollege von der Bruna und fast genauso alt. Na, die beiden verstehen sich jeweils prächtig. Meines Erachtens ist er hochgradig schwul und erinnert mich stark an einen Professor des Bauingenieurwesens in Köln. Aber ich will mich nicht beschweren, der macht ‘nen sehr sympathischen Eindruck. Am Samstag will er mich mit ein paar seiner Freunde ans Meer mitnehmen und danach mit uns Italien auf Großleinwand gucken. Klingt doch gut.

So saßen wir sechs also auf der Terrasse mit Domblick (Nee, nee Marie, ist das nicht schön! … Fehlt bloß noch vom Balkon, die Aussicht auf den Dom) und ließen es uns gut gehen. Bruna hatte den Primo Piatto „Pasta con Sugo alle Verdure“ mitgebracht, und Mena den Secondo „Schnitzel e Fenchel fritti con Zucchine al forno“ und den Terzo „Pesce à vino biancho e torta di fragole“ vorbereitet. Dazu gab‘s Vino Rosso und hinterher einen Limoncello und einen Caffè. In Italien gehört Essen zum Leben dazu und man isst nicht einfach irgendwie. Selbst gestern beim Abendessen zu dritt fragte mich die Mena, ob ich wirklich schon nach dem Primo Piatto (Pasta) genug hätte und war erst zufrieden, als ich noch etwas Mozzarella und Salame gegessen hatte. Als ob in Deutschland jemand fragen würde, ob man wirklich schon nach den Nudeln genug hätte und ob man den Hauptgang wirklich verschmähen wollte.

So sieht‘s aus! Jetzt hab ich fast zwei Stunden geschrieben und es ist schon Freitag. Noch ein bisschen Lesen und dann bis um zehn pennen. Ich freu mich auf die kommende Zeit! Gute Nacht!

Ankunft in Florenz

Der erste Tag! Gestern Abend bin ich in Pisa angekommen. Wie der Pilot prophezeit hatte, war es dort recht frisch. Windige 20 Grad wehten mir am Flughafen entgegen. Da bekam ich gleich Angst, meinen einzigen Pullover einem vierwöchigen Härtetest unterziehen zu müssen. Nach einer Stunde Zugfahrt in Florenz angekommen konnte ich diesen Gedanken allerdings schnell wieder verwerfen. Die Hitze der Großstadt traf mich wie ein Schlag, als ich aus dem klimatisierten Zug ausstieg. Am Bahnhof warteten schon Mena und Lorenzo auf mich. Als wir so durch die Stadt fuhren, merkte ich gleich, welche baulichen Veränderungen es in der letzten Zeit auf den Florentiner Straßen gegeben hat.

Obwohl ich fast schon zwei Jahre nicht mehr in Florenz war, fühle ich mich hier wie zu hause. Die Wohnung, das Gästezimmer, die Terrasse auf der ich heute gefrühstückt habe und das ganze Leben hier sind mir schon jetzt sehr vertraut. Auch mit meinem Italienisch klappt es besser als erwartet. Aber meine Tante gibt sich ja auch wie immer große Mühe mich zu verstehen und langsam und deutlich zu sprechen, so dass ich sie auch verstehen kann. In der Stadt war das schon etwas schwieriger.

Heute habe ich natürlich erst einmal lange ausgeschlafen. Gestern war ich so müde, dass ich gleich nach dem Brasilien-Spiel und einem kurzen Telefonat mit meiner Familie ins Bett gegangen bin. Meine Tante hatte mich noch vor Stechmücken gewarnt – sehr wohl erinnerte ich mich an den vorvergangenen Sommer, da war auch schon ein Biest in meinem Zimmer. Als ob sie mitbekommen hätte, dass süßes deutsches Blut eingetroffen war, stürzte sie sich unerbärmlich auch meine zarte, noch ungebräunte Haut und stach mich viermal bevor ich gegen Mitternacht vom Juckreiz erwachte. Zweimal entdeckte ich das Miststück, verfehlte es aber beide Mal mit den Händen. Den Schlappen traute ich mich nicht zu benutzen. Nebenan schliefen schließlich meine Gastgeber und letztes Mal hinterließ ich schon einen schönen Abdruck an der Wand. So einigten wir uns auf einen Waffenstillstand und ich konnte ungestochen bis um Elf ausschlafen. Aber ich schwöre, ich werde dich töten!

Nach einer frischen Dusche (Warmwasser kommt immer noch nur in Schüben) richtete ich mich erstmal in meinem Zimmer ein. Bisher war ich hier immer nur im Urlaub, jetzt werde ich auch mal den Alltag mitmachen. Gegen zwölf kam die rumänische Putzfrau mit ihrer Tochter. Die war ein bisschen unsicher in meiner Gegenwart, und so mache ich mir einen leckeren Cappuccino (der schmeckt hier irgendwie immer besser als in Deutschland, obwohl ich exakt die gleichen Zutaten benutze) und ein kleines Frühstück, das ich in der prallen Mittagssonne auf der Terrasse mit Blick auf die Altstadt inklusive Dom und Uffizien genoss. Um die beiden nicht weiter zu stören, machte ich eine kleine Runde hier im Viertel und kaufte ein paar Kleinigkeiten. Danach machte ich mich auf den Weg in die Stadt, um eine Bar aufzutreiben, die das Spanien-Spiel zeigt. Hier scheinen nur ein paar wenige Spiele im öffentlichen Fernsehen übertragen zu werden. Die anderen Partien laufen nur im Pay-TV. Aber Bar mit Fußball war in der Altstadt absolute Fehlanzeige. Erst als ich wieder fast zu Hause war, entdeckte ich eine kleine Bar hier im Viertel, die einen großen Fernseher aufgestellt hatte. Aber da hatte Spanien schon alle vier Tore geschossen. Aber so hatte ich einen schönen zweistündigen Spaziergang durch das heiße Florenz und ein Stück leckere toskanische Pizza Prosciutto. Also an alle WM-Muffel: Ab nach Florenz mich besuchen kommen!

Gerade sind Mena und Lorenzo von der Arbeit wiedergekommen, während ich bei Café del Mar- Musik an Menas Laptop sitze und diese Zeilen schreibe. Jippie, das Deutschland-Spiel wird an der Piazza Santo Spirito auf Großleinwand übertragen! Also, DFB-Trikot an und Klinsis Jungs anfeuern. G‘winne welle!