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Rede auf dem Anti-ACTA-Protest am 11.02.12 in Frankfurt/Main

Wortlaut der Rede:

Hallo zusammen!

Ich begrüße euch an diesem wunderschönen Tag hier in Frankfurt am Main! Es ist klirrend kalt, die Sonne scheint und heute haben sich hunderttausende Menschen in ganz Europa auf den Weg gemacht um für unsere Freiheit zu demonstrieren! Das ist überwältigend!

Aber jetzt müssen wir uns die berechtigte Frage stellen: Warum gehen bei zweistelligen Minusgraden hunderttausende Menschen in Europa freiwillig zum Demonstrieren auf die Straße? Warum sitzen wir nicht zu Hause im Warmen und schauen RTL II?

Frau Leutheuser-Schnarrenberger sagte erst gestern, dass es gar keinen Grund gebe gegen ACTA zu demonstrieren. Wir haben also keinen Grund, heute hier zu sein. Lasst uns also nach hause gehen. Ins Warme.

Liebe Frau Leutheuser-Schnarrenberger! Hier muss ich Ihnen ganz entschieden wiedersprechen! Es gibt einen ganz bedeutenden Grund heute hier zu sein!

Es geht um unsere Freiheit und die Freiheit unserer Gedanken!

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, wie ACTA richtig heißt ist für die EU seit dem 26. Januar beschlossene Sache. Es fehlen bloß noch die Unterschriften der einzelnen Mitgliedsstaaten und die Zustimmung des EU-Parlaments. Die sollen jetzt ratifizieren, was sich Lobby-Verbände von 2008 bis 2011 hinter verschlossenen Türen ausgedacht haben, um ihre eigenen Interessen in internationales Recht schreiben zu lassen.

Ja, liebe Frau Leutheuser-Schnarrenberger, mit ACTA werden vermutlich keine neuen Gesetze in Deutschland nötig. Die alten Gesetze werden mit diesem Vertrag lediglich auf ein Neues untermauert. Gesetze aus dem letzten Jahrtausend! Gesetze aus Zeiten, als es noch nicht einmal Farbfernsehen gab und man noch Telefone mit Wählscheibe benutzt hat.

Liebe Frau Leutheuser-Schnarrenberger und alle anderen rückwärtsgewandten Offline-Politiker! Falls ihr es noch nicht gemerkt habt: Es ist eine neue Zeit angebrochen! Die Medien haben sich geändert und mit ihnen auch die Verbreitungswege von Ideen, Gedanken und anderen geistigen Werken.

Die Idee vom Sharing, also dem Teilen von diesem so genannten „geistigen Eigentum“ ist dabei aber keineswegs erst eine Modeerscheinung aus dem 21. Jahrhundert. Schon die alten Römer haben die griechische Kunst und sogar ihre olympischen Götter „geraubt“ und weiterentwickelt. Aus dem Göttervater Zeus wurde bei ihnen Jupiter und aus Aphrodite wurde Venus.

Im Mittelalter zogen die Musiker, Künstler und Bauleute von einer Stadt zur anderen und schauten, was es dort an Entwicklungen gab. Man kopierte voneinander und jeder Musiker, Künstler oder Baumeister brachte neue Ideen in diesen Kreislauf des Austauschs. Nur so war es möglich, die vielen imposanten Kirchen in Europa zu bauen, die noch heute Wahrzeichen vieler Städte sind, wie z.B. das Notre Dame in Paris, der Kölner Dom oder aber auch der Kaiserdom hier in Frankfurt.

Die Künstler Michelangelo und Leonardo waren im 16. Jahrhundert erbitterte Rivalen. Und sie kopierten unentwegt voneinander. Berühmt geworden sind sie mit ihrer Kunst aber nicht, weil sie den Rivalen geschädigt haben, sondern weil sie beide unglaublich talentiert waren und ihre Kunst von den Menschen gekauft wurde.

Auch Goethes Faust ist ein weiteres Beispiel dafür, dass erst die Weitergabe und die Weiterentwicklung von Ideen dazu führen können, aus einer guten Geschichte eine historische Geschichte zu machen, die in keinem Lehrplan fehlen darf. Ausgehend von der wahren Geschichte des Dr. Johann Georg Faust wurde die Geschichte mehrfach weiterentwickelt. Aus Johann Georg wurde Jörg oder Johann und schließlich wird er bei Goethe zu Dr. Heinrich Faust. Außer den Schülern möchte niemand dieses meisterliche Werk in der Literaturgeschichte missen.

Und dann immer diese Angst vor dem Plagiat, liebe deutsche Wirtschaft. Der Chinese kopiert unseren Transrapid und unsere Autos. Ja und? Unsere industrielle Revolution hier in Deutschland, die sich vor über zweihundert Jahren abspielte, wäre ohne den Nachbau der englischen Dampfmaschine gar nicht möglich gewesen. Deutschland wäre bis heute ein Agrarstaat geblieben, wenn es damals ACTA gegeben hätte. Und Deutschland hat sich seitdem industriell so gut behaupten können, weil es eben nicht einfach kopiert hat, sondern die Technologien dann auch weiterentwickelte.

Liebe Frau Leutheuser-Schnarrenberger und ihr anderen rückwärtsgewandten Offline-Politiker, die ihr uns regieren wollt. Ich könnte euch noch viele Beispiele nennen, in denen der Austausch und die Weiterentwicklung von Ideen uns Menschen Fortschritt gebracht haben. Auch heute noch werden Bilder kopiert, Lieder geremixed und Lehrmaterialien für den Unterricht an unseren Schulen und Hochschulen aus den verschiedenen Büchern und Vorträgen zusammengestellt.

Kunst, Bildung und Geist leben vom Teilen. Ein so genanntes „Geistiges Eigentum“  darf nicht existieren, Ideen müssen weiterverbreitet und weiterentwickelt werden. Und auch wenn das nicht eure Intention ist, liebe Verfasser von ACTA, die Patentierung von geistigem Eigentum führt unweigerlich zu einer Zensur!

Deshalb fordern wir von euch verantwortlichen Politikern:

Stoppt ACTA!

Werft diese fortschrittsfeindlichen Verträge in den Papierkorb und arbeitet konstruktiv an der Weiterentwicklung von Kultur und Bildung mit.

Hört nicht auf die Anwälte der Lobby-Verbände. Denen sind höhere Ziele egal. Sie geben sich mit dem Niedrigsten zufrieden. Mit Geld.

Ich möchte mit den von mir weiterentwickelten Zeilen einer Kölner Band schließen:

„Keiner weiß, wie lange wir noch kämpfen müssen.

Aber wir müssen kämpfen für unser Ziel [einer freien Gesellschaft].

Und für das Glück von Jedermann lohnt es zu kämpfen!

Reiht euch bei uns ein!

Wir kämpfen zusammen – Nicht allein!“